Justus Perthes:
Zur Verlagsgeschichte
ab 1953 bis heute
1949: Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
1952/1953: Dr. Joachim Perthes und sein Sohn Wolf Jürgen Perthes verlassen Ende 1952 Gotha mit ihren Familien und wenigen Mitarbeitern (weitere folgen in den 1950er Jahren), da durch zunehmende Repressionen und Zensur sowie existenzgefährdende Steuerbelastungen keine selbständige Verlagsarbeit mehr möglich war. Begründet mit 'widerrechtlicher Republikflucht' wird der Verlag daraufhin im Januar 1953 durch den "Rat der Stadt Gotha" entschädigungslos enteignet und in einen "volkseigenen Betrieb" mit der temporären Bezeichnung "VEB Geographisch-Kartographische Anstalt Justus Perthes Gotha" umgewandelt. Weiterführung des VEB durch Hermann Haack (bis 1954).
Anmerkung:
Die Stadt Gotha verweigerte sich wiederholt, den damaligen Vorgang der Enteignung historisch mit aufarbeiten zu helfen.
Die besondere Rolle Hermann Haacks bei der Umbenennung des enteigneten Verlags wurde von der Forschungsbibliothek Gotha inzwischen im Ansatz untersucht. Dazu erscheint weitere Forschung notwendig.
Hermann Haack, dessen Studium Ende des 19. Jh. maßgeblich von Bernhard Justus Perthes gefördert worden war, arbeitete im Verlag Justus Perthes von der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik, vom Dritten Reich bis zur DDR. Seine Verdienste um die deutsche Schulkartographie sind wohl unbestreitbar, sollten jedoch neu bewertet werden. Der Film "Die Kartenmacher aus Gotha" (s.unten) greift diese Thematik ebenfalls auf.
April 1953: 'Justus Perthes Geographische Verlagsanstalt Darmstadt' wird von Dr. Joachim Bernhard Justus Perthes (+ 1954) und Wolf Jürgen Justus Perthes (+ 1964) neu gegründet.
Oktober 1955: Umbenennung des Gothaer Stammhauses in 'VEB Hermann Haack Geographisch-Kartographische Anstalt Gotha'. Bis 1990 Monopolbetrieb der DDR für schulkartographische Publikationen; Markenname 'Haack Gotha'. Verlagsleiter von 1960 bis 1980 war Manfred Weiß (IM(S) "Prager").
1980-1994: Stephan Justus Perthes leitet den Darmstädter Verlag in siebter Generation und besucht im Mai 1986 erstmals seit der Enteignung der Familie wieder das Gothaer Stammhaus, damals unter der Leitung von Dr. Gottfried Suchy.
9. November 1989: Fall der Mauer.
1990 - 1992: Treuhandbetrieb 'Hermann Haack Geographisch-Kartographische Verlagsgesellschaft mbH Gotha'.
1992: Reprivatisierung des Gothaer Stammhauses und Verkauf der Firmen in Darmstadt und Gotha durch Stephan Justus Perthes an die Klett-Verlagsgruppe; seither Tochterunternehmen des Ernst Klett Verlags, Stuttgart.
Neufirmierung des Gothaer Hauses als 'Justus Perthes Verlag Gotha GmbH'.
Justus Perthes
Darmstadt wird zunächst als Betriebsstätte des Ernst Klett Verlags weitergeführt.
März 1994: Schließung der 'Geographischen Verlagsanstalt Justus Perthes Darmstadt' nach 41 Jahren und Überführung der Verlagstätigkeit nach Gotha (Teilbereiche nach Stuttgart und Leipzig). Stephan Justus Perthes übernimmt andere Aufgaben im Ernst Klett Verlag.
1995: Verlagsgemeinschaft unter dem Markennamen 'Klett-Perthes' für Bildungsmedien zur Geographie, geführt durch den Justus Perthes Verlag Gotha; Geschäftsleitung: Volker Streibel.
1998: Umzug des Verlagsbereichs Geographie / Kartographie aus Stuttgart nach Gotha. Damit sind alle verlegerischen Aktivitäten der Verlage Justus Perthes (Hermann Haack) Gotha, Justus Perthes Darmstadt und Ernst Klett Stuttgart in den Bereichen Geographie und Kartographie unter dem Dach der Justus Perthes Verlag Gotha GmbH konzentriert.
Januar 2003: Das gesamte Archiv des Hauses Justus Perthes, bestehend aus den drei Teilbeständen Verlagsarchiv (Firmenarchiv Gotha aus den Jahren 1785 bis 1991, inkl. VEB Hermann Haack, inkl. Firmenarchiv Darmstadt aus den Jahren 1953 bis 1994), Bibliothek und Kartensammlung, wird mit großzügiger Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder vom Freistaat Thüringen von den Eigentümern Klett und Perthes übernommen.
Anmerkung:
Behauptungen auf der Website der Stadt Gotha, dass (sinngemäß zitiert) "der Freistaat Thüringen 2002 die Sammlung Perthes gerade noch vor dem Verkauf an das Auktionshaus Christie's bewahrt habe", sind schlicht falsch und werden vom Herausgeber dieser Website zudem als ehrenrührig gewertet.
Das rund zehn Jahre währende Engagement von Dr. h.c. Michael Klett, Prof. Dr. Hans-Albrecht Koch und Stephan Justus Perthes (neben vielen anderen namhaften Persönlichkeiten und Institutionen), verbunden mit einem privat getragenen Kostenaufwand von rund 1 Mio. DM zur fortlaufenden Pflege und Sicherung des gewaltigen Archivs seit der Wende, für das große Gothaer Kolloquium "Faszination der Geographie" im Juni 1997, für einen Architekturwettbewerb zusammen mit der RWTH Aachen und der Universität Dresden, die damit verbundene Konzeption und Vorplanung eines "Museums der Erde Gotha", und damit letztlich zur dauerhaften Bewahrung und Erschließung der Perthes'schen Archivbestände - ausdrücklich am historischen Standort Gotha, in Thüringen - sind umfänglich nachweisbar, wie auch in der damaligen Tages- und Fachpresse nachzulesen.
Ein Auktionsausverkauf stand nie zur Debatte.
Eher wären hier jahrelanges Desinteresse und schlichte Inkompetenz über rund zehn Jahre hinweg v.a. durch die Lokal- und Regionalpolitik zu beklagen, bevor in 2002 doch noch ein gangbarer Weg mit dem Freistaat Thüringen zu Gunsten des "national bedeutenden Kulturguts" (BMBF) der "Sammlung Perthes" am historischen Standort Gotha gefunden wurde.
August 2003: Der Verlag firmiert erneut um in 'Klett-Perthes Verlag GmbH', Gotha (bisher: 'Justus Perthes Verlag Gotha GmbH').
Dezember 2004: Verbliebene Archivmaterialien von 'Justus Perthes Geographische Verlagsanstalt Darmstadt' (1. April 1953 bis 31. März 1994) werden in die Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein überführt. 'Petermanns Mitteilungen' wird im 149. Jahrgang in Gotha eingestellt.
Herbst 2005: Der Verlagsbereich 'Schulbuch' wird aus Gotha zum Ernst Klett Verlag Leipzig verlagert.
2008: Die Klett-Perthes Verlag GmbH in Gotha firmiert erneut um in Ernst Klett Verlag GmbH, Zweigniederlassung Gotha, Programmbereich Klett-Perthes. Mit dieser Neufirmierung erlischt nach knapp 223 Jahren der bis dahin stets firmenrechtlich selbständige Verlag mit dem Namen bzw. Namensbestandteil 'Justus Perthes' am Standort Gotha.
2010: Die Stadt Gotha wird Eigentümerin der Häuser und Grundstücke Justus-Perthes-Straße 1-9 (künftig Perthesforum, mit kultureller Nutzung) und Gotthardstraße 6 (Perthes-Villa; 2012 abgerissen).
Anmerkung:
Eine Erinnerungsplakette am Ort der ehemaligen "Perthes-Villa", erbaut 1890 von Bruno Eelbo für Bernhard Perthes, ebenfalls 1953 enteignet, seit der Reprivatisierung unter Denkmalschutz, seit 2010 im Eigentum der Stadt Gotha und in 2012 abgerissen, hat die Stadt Gotha zuletzt in 2017 ohne Begründung abgelehnt.
Damit enden 2010 die unternehmerischen Aktivitäten der Familie Justus Perthes in Gotha, nach sieben Generationen und fast 225 Jahren.
2011: Der Ernst Klett Verlag, Niederlassung Gotha, zieht wegen der anstehenden Baumaßnahmen für das künftige "Perthesforum" in die Gothaer Bahnhofstraße um.
November 2014: Das Perthesforum Gotha ist nach zweieinhalb Jahren Bauzeit mit rund € 18 Mio. Investitionssumme v.a aus EU-, Bundes- und Landesmitteln auf rund 11.000 qm Bruttofläche baulich termingerecht und im geplanten Finanzrahmen fertiggestellt - tatsächlich ein Kraftakt und eine Glanzleistung aller beteiligten Firmen und Behörden, besonders auch der Stadt Gotha.
Bis Juli 2015 kehrt auch die Sammlung Perthes Gotha in die historischen Räume zurück.
Im Beisein von Prof. Monika Grütters MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien, wird das Perthesforum Gotha am 6. November 2015 feierlich eröffnet.
Heute sind im Perthesforum Gotha umfängliche Depotbestände der Stiftung Schloss Friedenstein untergebracht; dazu wesentliche Bestände der Forschungsbibliothek Gotha, mit dem Schwerpunkt der „Sammlung Perthes“, die mit 185.000 Karten, 125.000 Bänden und ca. 800 lfm Akten die Verlagstätigkeit in Gotha und Darmstadt von 1785 bis etwa 1992 dokumentiert; sowie das Thüringische Hauptstaatsarchiv Gotha.
Anmerkung:
Die Stadt Gotha schreibt online (Zitat): "Mit dem Perthes Forum Gotha wurde eine Industriebrache einer modernen wissenschaftlichen Nutzung in der Innenstadt zugeführt."
Diese Aussage ist falsch. Zwischen 1992 und 2010 arbeiteten der Verlag Justus Perthes Gotha sowie einige gewerbliche Mieter (TVA Langenscheidt, Durable, ...) sowie Mieter der öffentlichen Hand (Universität Erfurt, Stiftung Schloss Friedenstein) in den - teilweise grundsanierten - historischen Verlagsgebäuden der Justus-Perthes-Str. 3-9, z.T. über Jahre zu besonders günstigen "Kulturmieten". Bis 2009 hat alleine der Herausgeber dieser Website einige Millionen DM in Sanierungen und Umbaumaßnahmen investiert.
Für Publikationen der Stadt Gotha wurde wiederholt zum Thema "Perthes" schlicht und einfach unzureichend recherchiert.
Seit 2015 werden die "Gothaischen Genealogischen Handbücher" von der Stiftung Deutsches Adelsarchiv herausgegeben.
Zum 31. März 2016 wird die "Zweigniederlassung Gotha" des Ernst Klett Verlags geschlossen.
Damit endet die verlegerische Aktivität des Hauses Justus Perthes nach gut 230 Jahren.
19. März 2017: Premiere des Films "Die Kartenmacher aus Gotha" von Otto Schuurman und Joachim Jäger im Cineplex Gotha - ein Langzeit-Filmprojekt, mit Förderung durch die Kulturstiftung der Länder.
Dieser Dokumentarfilm greift in einer Langzeitbetrachtung von 1990 bis 2015 die wechselvolle Geschichte des Verlages Justus Perthes Gotha (z.T. auch Darmstadt) sowie des VEB Hermann Haack auf: Von der Gründung im Jahr 1785 über den internationalen Aufstieg im 19. Jh., vom 2. Weltkrieg bis zur Teilung Deutschlands, von der Enteignung 1952 bis zur Wende 1989, sowie der Reprivatisierung und die Übernahme durch den Ernst Klett Verlag in 1992.
Historische Dokumente und Kartenwerke des Verlages, dazu berührende Interviews mit Zeitzeugen zeichnen ein dichtes, faktenreiches und zugleich emotional bewegendes Bild der Geschichte eines der ältesten deutschen Verlage, über sieben Generationen der Familie Perthes. Die einschneidenden Veränderungen für sehr viele Menschen, die mit diesem Verlag verbunden waren, besonders in der Zeit ab 1989 werden nachvollziehbar herausgearbeitet.
Filmausschnitt "Die Kartenmacher aus Gotha" (00:35, auf Vimeo)
Zum Hintergrund des Films: ausführlich im Blog der Forschungsbibliothek Gotha.
Bisherige Aufführungen, mit über 1.000 Besucherinnen und Besuchern:
08.11.2016: Nederlandse Filmacademie Amsterdam
19.03.2017: Offizielle Premiere im Cineplex, Gotha
21.03.2017: Geographische Gesellschaft zu Leipzig, Grassi-Museum
27.09.2017: Capitol-Kino, Gotha
Herbst 2017: Universität Erfurt
06.11.2017: Gießener Geographische Gesellschaft am Institut für Geographie der Universität Gießen
14.04.2018: Pali-Kino, Darmstadt
06.06.2018: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, Frankfurt am Main
12.10.2018: Capitol-Kino, Gotha
2020 (?): evtl. Berlin
Zur Sammlung Perthes Gotha, ihrer Erhaltung und Erschließung informiert die Forschungsbibliothek Gotha.